Handlungsempfehlungen für die Betreuung und Impfung von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen im Rahmen der COVID-19 Pandemie
Patientenversion der Deutschen Rheuma-Liga Bundesverband e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie e.V.
30.06.2021 (ergänzt am 10.11.2021)
Christof Specker, Peer Aries, Jürgen Braun, Gerd Burmester, Rebecca Fischer-Betz, Rebecca Hasseli, Julia Holle, Bimba Franziska Hoyer, Christof Iking-Konert, Andreas Krause, Klaus Krüger, Martin Krusche, Jan Leipe, Hanns-Martin Lorenz, Frank Moosig, Rotraud Schmale-Grede, Matthias Schneider, Anja Strangfeld, Reinhard Voll, Anna Voormann, Ulf Wagner und Hendrik Schulze-Koops
Patientinnen und Patienten1 mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen haben seit Beginn der Coronavirus-Pandemie viele Fragen, vor allem zu einem möglicherweise erhöhten Risiko, an COVID-192 zu erkranken, zum Einfluss der eingenommenen Medikamente auf dieses Risiko und zu der COVID-19-Impfung. Auf viele der Fragen gab es zu Beginn der Pandemie noch keine wissenschaftlich belegbaren Antworten. Seitdem lernen Wissenschaftler aber immer mehr über die Virusinfektionen mit SARS-CoV-2, auch im Hinblick auf entzündlich-rheumatische Erkrankungen bzw. auf die Behandlung mit Rheumamedikamenten. Inzwischen liegen auch belastbarere Erfahrungen zu COVID-19-Impfungen bei rheumatischen Erkrankungen und unter antirheumatischen Therapien vor. Weitere Erkenntnisse sind zu erwarten. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V. (DGRh) überarbeitet ihre Handlungsempfehlungen daher regelmäßig und passt sie an.
So haben die Experten der DGRh basierend auf den aktuell verfügbaren Studienergebnissen im Juni 2021 eine neue Version ihrer Empfehlungen zur Prävention, Behandlung und Impfung für Patientinnen und Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen während der Corona-Pandemie zusammengestellt, an welcher auch die Deutsche Rheuma-Liga beteiligt war und die wir hier für Sie zusammengefasst haben.
Welche Vorsichtsmaßnahmen gelten für Rheumatiker?
Die generellen Vorsichtsmaßnahmen, um eine Ansteckung zu vermeiden, sollten, auch und gerade von Menschen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen beachtet werden. Wichtig sind: Abstand halten, Hygiene beachten, im Alltag Maske tragen, regelmäßig lüften. Die Verwendung der Corona-Warn-App kann helfen, Menschen vor Ansteckungen zu schützen (AHA+L+A-Regel). Arztbesuche und notwendige stationäre Behandlungen sollen Betroffene auch in Zeiten der Corona-Pandemie wahrnehmen und nicht hinauszögern. Arztpraxen und Kliniken treffen Maßnahmen, um Patientinnen und Patienten zu schützen.
Erhöht eine rheumatische Erkrankung das Risiko zu erkranken oder einen schweren Verlauf zu haben?
Das Risiko an COVID-19 zu erkranken oder einen schweren Verlauf der Erkrankung zu erleiden, ist auch bei Rheumatikern vor allem von allgemeinen Risikofaktoren abhängig, wie höheres Alter, Vorliegen weiterer chronischer Erkrankungen (z. B. an Herz und Lunge), starkem Übergewicht oder Rauchen. Ein generell erhöhtes Risiko an COVID-19 zu erkranken oder einen schweren Verlauf zu erleiden, wurde in den meisten Studien für entzündlich-rheumatische Erkrankungen nicht festgestellt. Einige Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Risiko für eine COVID-19 Erkrankung oder einen schweren Verlauf, bei schwereren systemischen Rheumaformen, wie beispielsweise Kollagenosen oder Vaskulitiden, etwas erhöht ist. Genaue Aussagen hierzu sind auf der Basis der bisherigen Studien noch nicht möglich. Gezeigt hat sich jedoch, dass eine hohe Aktivität der rheumatischen Erkrankung das Risiko für einen schweren Verlauf von COVID-19 erhöht.
Erhöhen die Medikamente gegen entzündlich-rheumatische Erkrankungen das Risiko zu erkranken oder einen schweren Verlauf zu haben?
Nein, im Gegenteil: Die Behandlung der entzündlich-rheumatischen Erkrankung ist wichtig, um auch das Risiko zu senken, an COVID-19 zu erkranken oder einen schweren Verlauf zu erleiden. Wird die rheumatische Entzündung im Körper nicht behandelt oder ist sie trotz Behandlung sehr aktiv, stellt COVID-19 ein höheres Risiko dar. Daher ist es besonders wichtig, dass die Erkrankung so wirksam wie möglich behandelt wird. Wenn bei Ihnen eine entzündlich-rheumatische Erkrankung neu festgestellt wird, ist es daher auch wichtig, dass die medikamentöse Behandlung so früh wie möglich beginnt. Wenn Sie schon antirheumatische Medikamente nehmen, sollten Sie die Therapie nicht aus Sorge vor COVID-19 unterbrechen.
Die unterschiedlichen Medikamente, die zur Behandlung von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gegeben werden, können nach Auffassung der Experten der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie auch in den Zeiten der Coronavirus Pandemie eingesetzt werden.
Dies gilt auch für Kortison, zumindest in niedrigen Dosierungen bis ca. 10 mg Prednisolon täglich. Einige Studien zeigten zwar einen Zusammenhang zwischen Kortisoneinnahme und einem erhöhten Risiko für schwere Verläufe von Coronainfektionen. Wissenschaftler gehen aber davon aus, dass die Hauptursache hierfür nicht direkt das Kortison, sondern die erhöhte Entzündung durch die rheumatische Erkrankung ist. Da Kortison aber grundsätzlich dosisabhängig mit einer erhöhten Infektionsneigung einhergeht, gilt auch in Corona-Zeiten: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Wenn eine Kortisontherapie notwendig ist, um die Erkrankung zu beherrschen, soll die Dosis also auch nicht z. B. aus Angst vor einer Coronainfektion ohne Absprache mit dem behandelnden Rheumatologen reduziert werden. Auch bei den weiteren Medikamenten, die den Entzündungsprozess bekämpfen (DMARDs3), ist die positive Wirkung aus Sicht der Forscher größer als eine mögliche negative Wirkung im Hinblick auf COVID-19.
Bei Rituximab kann es jedoch im Einzelfall sinnvoll sein, die Verabreichung zu verschieben. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass Patienten, die Rituximab während der Monate vor einer COVID-19 Infektion erhalten haben, häufiger schwerere Verläufe aufweisen. Wenn Sie Rituximab bekommen haben oder sollen, besprechen Sie mit dem behandelnden Rheumatologen, ob Ihre Rituximab-Therapie z. B. bis nach Vervollständigung der Impfung verschoben werden kann. Bei schweren, teilweise auch lebensbedrohlichen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen kann und sollte Rituximab aber gegeben werden, da das Risiko von Folgeschäden durch die rheumatische Erkrankung dann größer ist als das von COVID-19. Grundsätzlich gilt: Setzen Sie auf keinen Fall die Medikamente ohne Rücksprache mit Ihrem Rheumatologen ab!
Was ist, wenn ich Kontakt zu einer mit COVID-19 infizierten Person hatte?
Wenn Sie Kontakt mit infizierten Personen hatten, aber selbst keine Infektionszeichen (wie Fieber, Husten) aufweisen, sollten Sie Ihre verschriebene Rheumatherapie fortführen. Auch Kortison sollte in der verordneten Dosis weitergenommen und keinesfalls ohne Rücksprache mit dem Arzt abgesetzt oder reduziert werden. Häufigere Testungen auf das Virus sind dann selbstverständlich.
Falls Sie jedoch nach Kontakt mit einer infizierten Person Krankheitszeichen wie z. B. Fieber über 38 Grad entwickeln, sollte die antirheumatische Medikation (bis auf niedrig dosiertes Kortison) im Allgemeinen pausiert werden. Sprechen Sie hierzu mit Ihrem behandelnden Rheumatologen, wie mit der Einnahme der Medikamente zu verfahren ist.
Was ist, wenn ich mich mit COVID-19 infiziert habe, müssen die Medikamente dann verändert werden?
Wenn bei Ihnen ein Coronatest (Abstrich/PCR-Test) zwar positiv war, Sie aber keine Krankheitssymptome aufweisen, wird Ihr Rheumatologe gemeinsam mit Ihnen abwägen, ob die Einnahme der Basismedikamente für einige Tage pausiert werden sollte, bis sicher ist, ob es überhaupt zum Ausbruch der Infektionserkrankung COVID-19 kommt. Ein Abwarten kann vor allem bei bestimmten Biologika und JAK-Inhibitoren sinnvoll sein. Konventionelle DMARDs wie Methotrexat, Leflunomid, Hydroxychloroquin, Azathioprin und Sulfasalazin werden in der Regel nicht pausiert oder hinausgezögert, wenn keine Infektsymptome vorliegen.
Falls ein Test auf SARS-CoV-2 bei Ihnen positiv war und Krankheitssymptome auftreten, wird Ihr Rheumatologe mit Ihnen ein Pausieren der DMARD-Therapie besprechen und ggf. weitere Maßnahmen vorschlagen. Eine Kortisonbehandlung zur Behandlung der entzündlich-rheumatischen Erkrankung mit einer Dosis bis zu 10 mg Prednisolon täglich sollten Sie in der Regel beibehalten. Bei höheren Dosierungen sollten Sie Rücksprache mit dem behandelnden Rheumatologen halten.
Sollen sich von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen Betroffene gegen SARS-CoV-2 impfen lassen?
Die DGRh empfiehlt die Impfung von Menschen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Die Impfung ist auch bei Rheumapatienten in der Regel wirksam und gut verträglich. Vorübergehende Reaktionen auf die Impfung, die auch bei Gesunden häufig mit Muskel- und Gliederschmerzen einhergehen, dürfen nicht mit einem Schub der rheumatischen Erkrankung verwechselt werden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Impfungen, auch nicht die gegen COVID-19, zu einer stärkeren oder länger andauernden Verschlechterung einer rheumatischen Erkrankung führen. Trotz einzelner Berichte darüber ist das Risiko hierfür im Verhältnis zu der immensen Zahl komplikationsloser Impfungen einerseits und den Folgen einer möglichen Erkrankung an COVID-19 im Lichte der Pandemie andererseits, auch für Patienten mit rheumatischen Erkrankungen sehr viel geringer, als das Risiko durch den Verzicht auf eine Impfung.
Sollte bei Betroffenen von entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ein bestimmter Impfstoff verwendet werden?
Außer den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO), z. B. zum Einsatz bestimmter Impfstoffe bei bestimmten Altersgruppen4, gibt es keine Gründe dafür, bestimmte Impfstoffe aufgrund einer rheumatischen Erkrankung zu bevorzugen oder nicht zu verwenden. In einzelnen Fällen kann die Verwendung eines mRNA-Impfstoffes gegenüber vektorbasierten Impfstoffen bevorzugt werden, z. B. wenn durch eine zügigere Vervollständigung der Impfung (erste und zweite Dosis) eine Rituximab-Therapie schneller eingesetzt werden kann. Eventuell ist ein mRNA-Impfstoff auch bei Patienten über 60 Jahren, die an einem eindeutigen Antiphospholipidsyndrom oder einer Immunthrombopenie leiden, zu bevorzugen (bei jüngeren Patienten wird davon unabhängig ein mRNA-Impfstoff empfohlen).
Wird die Wirkung der Impfung durch die Einnahme der Medikamente für die Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen eingeschränkt?
Auch wenn Sie geimpft werden, können und sollten Sie in der Regel die Medikamente gegen Ihre rheumatische Erkrankung weiter unverändert nehmen. Es kann sein, dass bei einzelnen Medikamenten die Impfwirkung leicht eingeschränkt ist. Die so genannte Impfantwort ist aber in allen bisherigen Untersuchungen auch unter Medikamenten gegen rheumatische Erkrankungen ausreichend, um eine schwere COVID-19 Erkrankung durch die Impfung zu verhindern. Deshalb empfehlen die Experten der DGRh nicht, routinemäßig antirheumatische Medikamente wegen der Coronaimpfung abzusetzen oder zu pausieren. Ob und wann in einzelnen Fällen bei bestimmten Medikamenten eine kurze Pause erfolgen kann, um eine möglichst gute Impfantwort zu erreichen, sollte nur nach sorgfältiger Abwägung mit dem behandelnden Rheumatologen entschieden werden. Die Expertengruppe der DGRh hat dazu konkrete Vorschläge formuliert. Im Zweifelsfall sollte keine Änderung der Medikation erfolgen, da sich durch eine Therapiepause das Risiko eines Schubes der Rheumaerkrankung erhöht. Ein zusätzlicher Nutzen einer Therapiepause ist im Hinblick auf die Impfung meist – wenn überhaupt – eher gering.
Eine wichtige Ausnahme ist wieder das Medikament Rituximab. Die Impfantwort kann nach der Infusion von Rituximab über Monate bis zu einem Jahr deutlich eingeschränkt sein. Dennoch kann eine Impfung auch in dieser Situation einen gewissen Schutz bieten. Sofern planbar, sollte aber zwischen der letzten Gabe von Rituximab und einer Coronaimpfung ein Abstand von vier bis sechs Monaten eingehalten werden, um den Impferfolg zu optimieren. Wenn Sie Rituximab (wieder) erhalten sollen und noch nicht geimpft sind, wird Ihr Rheumatologe mit Ihnen überlegen, ob die Behandlung noch hinausgezögert werden kann, um erst eine Impfung durchzuführen. Die Gabe von Rituximab kann dann vier Wochen, in dringenden Fällen zwei Wochen nach Komplettierung der Impfung erfolgen.
Kann der Erfolg der Impfung durch die Bestimmung von Antikörpern (Titerbestimmung) überprüft werden?
Die Bestimmung von Antikörpern gegen SARS-CoV-2 im Blut von Geimpften wird von der DGRh zum aktuellen Zeitpunkt nicht empfohlen, da noch nicht ausreichend untersucht ist, ob ein solcher Antikörpertest eine Aussage zur Wirksamkeit der Impfung erlaubt.
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1 Im Folgenden werden mit dem Begriff „Patienten“ ausdrücklich und ohne Bezug auf das Geschlecht Patientinnen und Patienten gemeint. Analog wird mit dem Begriff Arzt/Ärztin und Rheumatologe/Rheumatologin verfahren.
2 Zur Begriffserklärung: das im Dezember 2019 in China identifizierte, neuartige Coronavirus wird wissenschaftlich mit SARS-CoV-2 (schweres, akutes Atemwegssyndrom auslösendes Corona-Virus-2) bezeichnet, die dadurch ausgelöste Erkrankung als COVID-19 (Corona-Viruserkrankung 2019, wobei das ‚D‘ für (engl.) Disease (Erkrankung) steht.
3 DMARDs: Disease Modifying Anti-Rheumatic Drugs – antirheumatische Basistherapie
4 So hat die STIKO am 10.11.2021 ihre COVID-19-Impfempfehlung dahingehend aktualisiert, für Personen unter 30 Jahren ausschließlich den Impfstoff Comirnaty zu verwenden.