Empfehlungen zum Einsatz von Tocilizumab bei der Rheumatoiden Arthritis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Interleukin 6
3. Wirkmechanismus
4. Einsatz
5. Ausgangs- und Kontrolluntersuchungen
6. Kontraindikationen
7. Infusion
8. Unerwünschte Wirkung
9. Laborabweichungen
10. Infusionsreaktionen
11. Kombinations- und Monotherapie
12. Fazit
13. Anhang
14. Literatur
Erstveröffentlichung Oktober 2009 / zuletzt überprüft August 2024
Neben verschiedenen Biologika zur Inhibition von Tumor Nekrose Faktor-alpha (TNFα und Interleukin 1, zur B-Zell Depletion und zur selektiven T-Zell-Modulation steht für die Behandlung der mittelschweren bis schweren rheumatoiden Arthritis seit diesem Jahr als neues Biologikum der humanisierte monoklonale Antikörper Tocilizumab (TCZ) gegen den IL-6 Rezeptor zur Verfügung1.
Die vorliegende Empfehlung soll die Handhabung von TCZ im Alltag für Rheumatologen erleichtern und wurde von der Kommission Pharmakotherapie der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie erarbeitet und verabschiedet. Sie basiert auf bis September 2009 publizierten Originalarbeiten und den Anwendungsempfehlungen.
TCZ ist ein humanisierter antihumaner Interleukin-6 Rezeptor-Antikörper (IgG1), der gentechnologisch hergestellt ist1. Im April 2005 wurde TCZ als weltweit erste Therapie des Castleman’s Disease zugelassen2. TCZ wurde auch zur Therapie der rheumatoiden Arthritis, der juvenilen idiopathischen Arthritis und des M. Crohn geprüft3, 4.
Interleukin-6 (IL-6) wurde 1986 identifiziert und ist ein 26-kD Glykoprotein5, 6. IL-6 wird von lymphoiden Zellen (B-und T-Zellen) und von nichtlymphoiden Zellen (Endothelzellen, Makrophagen, Fibroblasten) gebildet. Die physiologische Serumkonzentration liegt bei 1 pg/ml, im Rahmen einer Sepsis können bis zu 1000 pg/ml gemessen werden.
IL-6 hat einen zirkadianen Rhythmus der Freisetzung mit höherem Peak am Morgen, die Halbwertszeit ist kurz und beträgt nur wenige Minuten. IL-6 hat eine pleiotrope Wirkung auf Zellen, dazu zählen Differenzierung, Aktivierung und Proliferation. Die Wirkung wird durch Bindung an den IL-6-Rezeptor (IL-6R) vermittelt, dieser liegt in löslicher und Membran gebundener Form vor. Die alleinige Bindung von IL-6 an den IL-6-Rezeptor auf der Zelloberfläche ist nicht ausreichend, um eine Signaltransduktion auszulösen. Der IL-6/IL-6R-Komplex muss hierfür erst an gp130, ein Molekül auf der Zelloberfläche binden. IL-6 scheint im Rahmen einer Entzündung die Formation von regulatorischen T-Zellen zu unterdrücken und in Kombination mit TGF-beta die Entwicklung von pathogenen TH17 Zellen zu induzieren7.
Die Bedeutung von Il-6 bei der rheumatoiden Arthritis (RA)
Die IL-6-Konzentration ist bei RA-Patienten in der Synovia und in der peripheren Zirkulation erhöht. Die Höhe der CRP-Werte und der Rheuma-Faktoren sind damit gut korreliert. Weiter besteht eine gute Korrelation zu der Anzahl der betroffenen Gelenke, zur Morgensteifigkeit und auch zur Gelenkdestruktion8,9.
In der entzündlich veränderten Synovialis finden sich vermehrt IL-6-produzierende Zellen, die wiederum durch proinflammatorische Mediatoren wie TNFα, IL-1 und IL-17 induziert werden10.
Erhöhte IL-6-Konzentrationen im Rahmen der RA haben eine Reihe von Effekten, die in Übersicht 1 festgehalten sind.
Übersicht 1: Auswirkungen erhöhter IL-6-Konzentrationen bei der RA10:
-
Anstieg der Akute-Phase-Parameter wie z.B. CRP
-
Autoantikörperinduktion erhöht via Modulation der B-Zell Differenzierung (Rheuma-
faktoren, Antikörper gegen citrullinierte Proteine/Peptide)
-
Osteoklastenaktivierung (Osteoporose)
-
Megakaryozytenreifung (Thrombozytose)
-
T-Zellaktivierung
-
Induktion der Neutrophileninvasion in die Synovia
-
Induktion von VEGF (vascular endothelial growth factor), der bei der Pannus- Formation eine Rolle spielt
-
Pathogenese der RA-assoziierten Anämie durch Induktion von Hepcidin in Hepatozy- ten.
TCZ erkennt die IL-6 Bindungsstelle des humanen IL-6 Rezeptors (IL-6R). Es hemmt den IL-6 Signalweg mittels einer kompetitiven Blockade der IL-6 Bindung. TCZ erkennt sowohl den IL-6R auf der Zellmembran als auch den löslichen IL-6R im Blut und in der Synovia und verhindert die Ligand-Rezeptor Bindung11. Die Akutphaseproteine Serum-Amyloid A und CRP werden von der Leber nach IL-6, IL-1 und TNFα-Stimulation produziert. Eine CRP-Reduktion kann daher als ein Indikator für eine IL-6-Hemmung durch TCZ angesehen werden12.
Tocilizumab bei RA
TCZ ist durch seine beschriebene Wirkung in der Lage, zahlreiche pathologische Abläufe bei der RA zu korrigieren13-18. Aufgrund der Verteilung der IL6 Rezeptoren wirkt TCZ auf Makrophagen, Monozyten, B- und T-Lymphozyten, Fibroblasten, Endothelzellen sowie auf Hepatozyten6. Erhöhte IL-6-Spiegel können bei der RA in der Synovialflüssigkeit sowie im Serum nachgewiesen werden19.
Neben den Publikationen zur Anwendung in Japan lagen zur Zulassung in den USA und Europa 5 kontrollierte randomisierte Studien mit 4211 Patienten vor, die die Wirksamkeit von TCZ in verschiedenen Patientenpopulationen zeigen und von denen eine zusätzlich die Wirkung auf die radiologisch nachweisbaren Gelenkdestruktionen untersucht. Patientenmerkmale und Ergebnisse sind in der Tabelle 2 zusammengefasst.
Tabelle 2: Zulassungsrelevante Studien zu TCZ
Studie Jahr (Pub.) |
Erstautor |
n / Krkh-Dauer / Start-DAS 28 Studienarme |
Vorbehandlung |
ACR20 – 50 – 70 (%) TCZ vs ACR 20 – 50. .70 (%) Kontrolle |
Remission (%) TCZ vs Remission (%) Kontr. |
AMBITION 200815 |
Jones |
683 / 6,4 Jahre / 6,8 8mg/kg TCZ vs MTX Mono |
MTX naiv oder beendet > 6 mo |
70 - 44 -28 TCZ 8 mg/kg 53–34–15 MTX |
34 TCZ 12 MTX |
OPTION 200818 |
Smolen |
622 / 7,5 Jahre / 6,8 8mg/kg TCZ vs 4 mg/kg TCZ vs Placebo ;alle Arme : MTX 10-25mg/Woche |
MTX oder anderes DMARD (inc. TNF- Hemmer) - Versagen |
59–44–22 TCZ8mg/kg 48–31–12 TCZ4mg/kg 26 – 11 – 2 Kontrolle |
27 TCZ 8 mg/kg 13 TCZ 4 mg/kg 0,8 Kontrolle (DAS28<2,6) |
LITHE 200814,16 |
Kremer |
1190 / 9,3 Jahre / 6,5 8mg/kg TCZ vs 4mg/kg TCZ vs Placebo; alle Arme: MTX |
MTX-Versagen |
47 TCZ 8 mg/kg 8 Kontrolle (DAS28 < 2,6) |
|
TOWARD 200814 |
Genovese |
1220 / 9,8 Jahre / 6,7 8mg/kg TCZ vs Placebo; beide Arme: DMARD Fortführung |
Aktivität unter verschiedenen DMARD (MTX, LFN, SSZ, HCQ etc.) und Kombinationen |
60,8 – 37,6 – 20,5 TCZ 8 mg/kg 24,5 – 9,0 – 2,9 Kontrolle |
30,2 TCZ 8mg/kg 3,4 Kontrolle |
RADIATE 200813,14 |
Emery I. |
499 / >11Jahre / 6,8 8mg/kg TCZ vs Placebo; beide Arme: MTX |
Versagen eines oder mehrerer TNF-Hemmer |
50 – 29 – 12 TCZ 8 mg/kg 10 – 4 – 1 Kontrolle |
30 TCZ 8 mg/kg 2 Kontrolle |
Abkürzungen: n= Zahl der Studienteilnehmer; Krkh-Dauer: mittlere Krankheitsdauer bei Studienbeginn; Start-DAS 28: mittlerer DAS 28 bei Studienbeginn
TCZ erwies sich in der AMBITION-Studie15 in Monotherapie gegenüber MTX-Monotherapie überlegen, allerdings war in der CHARISMA-Studie20 die Kombination von MTX mit TCZ sowohl in der Dosis 8mg/kg wie in der Dosis 4mg/kg der jeweiligen Monotherapie mit derselben TCZ Dosis und der MTX Monotherapie überlegen. Dabei handelte es sich jedoch um Patienten, die unter laufender MTX Therapie eine persistierende Krankheitsaktivität zeigten und bei denen im Rahmen der Studie MTX abgesetzt wurde.
Aus den 5 klinischen Studien wurden bisher 2583 Patienten in 2 Langzeitextensionsstudien aufgenommen (GROWTH95 und GROWTH96)17. In der GROWTH95 Studie werden Patienten aus der OPTION Studie und in der GROWTH96 Studie Patienten aus den Studien TOWARD, AMBITION und RADIATE über 5 Jahre mit 8mg/kg TCZ weiterbehandelt. Zusätzlich werden auch die Patienten aus der LITHE Studie über 5 Jahre weiterbehandelt und beobachtet. Es werden 3 Gruppen nachverfolgt, die Monotherapie-Gruppe (aus der AMBITION Studie), die DMARD-Versager-Gruppe (aus TOWARD, OPTION und LITHE) und die TNFα-Versager-Gruppe (RADIATE). In den Interimsanalysen in Woche 108 und 132 hatten nur 3% der Patienten die Studie wegen unzureichender Wirksamkeit abgebrochen, dafür nahm der Anteil der Patienten mit ACR 20/50 und 70 Ansprechen kontinuierlich zu. Der Anteil der Patienten in DAS28-Remission bezogen auf die Zahl der Patienten in der Studie zeigte sich in der LITHE Studie zunehmend.
Die Zulassung besteht für den Einsatz bei erwachsenen Patienten mit mittelschwerer bis schwerer aktiver RA, die bereits mit einem oder mehreren krankheitsmodifizierenden Basistherapeutika (DMARD) oder TNFα-Antagonisten behandelt wurden und unzureichend angesprochen haben oder die Therapie nicht vertrugen. Nach gegenwärtigem Stand kommt TCZ in der Regel nach erfolgloser TNFα-Blocker-Therapie zum Einsatz. Die Behandlung sollte in Kombination mit Methotrexat erfolgen. Wenn Methotrexat nicht eingesetzt werden kann oder soll (z.B. bei Unverträglichkeit), ist TCZ auch zur Monotherapie zugelassen. Die empfohlene Dosis ist 8 mg/kg Körpergewicht einmal alle 4 Wochen, die Mindestdosis pro Infusion sollte 480 mg betragen.
TCZ wird mit steriler pyrogenfreier Kochsalzlösung pro infusione auf ein Volumen von 100 ml verdünnt. Die intravenöse Infusionsdauer beträgt 1 Stunde. Eine Dosisanpassung für Patienten, die älter als 65 Jahre sind, ist nicht erforderlich. Bei leichter Nierenfunktionseinschränkung ist ebenfalls keine Dosisanpassung erforderlich. Bei mäßiger oder schwerer Niereninsuffizienz wurde TCZ bisher nicht untersucht, ebenso wenig bei Leberfunktionsstörungen. In diesen Situationen kann TCZ in der Regel nicht empfohlen werden.
5. AUSGANGS- UND KONTROLLUNTERSUCHUNGEN
Bei einer aktiven Infektion darf eine Therapie mit TCZ nicht begonnen werden. Zu Beginn der Therapie müssen CRP, BSG, Blutbild, Leberenzymwerte, Cholesterin und Kreatinin vorliegen. Ein Tuberkulose-Screening wird ebenso wie beim Einsatz der TNFα-Antagonisten empfohlen, darüber hinaus auch ein Hepatitis B- und C-Screening vor Therapiebeginn. Patienten mit latenter Hepatitis B und C wurden bisher bis auf Einzelfälle nicht mit TCZ behandelt, so dass der Einsatz von TCZ in diesen Fällen aufgrund der fehlenden Datenlage eher nicht zu empfehlen ist.
Durch die Hemmung der CRP-Bildung in der Leber kann es im Fall einer Infektion nicht oder nur verzögert zu einem Anstieg kommen, so dass das CRP als Infektionsmarker bei Patienten, die mit TCZ behandelt werden, nur eingeschränkt zu verwerten ist.
Ebenso wird bei Diabetes mellitus und einer Divertikulose eine besondere Abwägung der Risiken einer Therapie mit TCZ empfohlen. Bei unkomplizierten Verläufen sollten die Patienten besonders aufgeklärt und überwacht werden. Bei bereits häufig aufgetretenen Antibiotika-pflichtigen Infektionen wird von der Anwendung von TCZ abgeraten.
Zum Monitoring der RA sind vor Beginn der Therapie DAS28, Funktionsstatus sowie ein aktueller Röntgenunterstatus erforderlich. Der klinische Effekt von TCZ setzt gewöhnlich einige Wochen nach Therapiebeginn ein. Die Patienten sollten zumindest dreimonatlich kontrolliert werden, initial ist jedoch ein engmaschigeres Monitoring insbesondere von Blutbild, Transaminasen und Cholesterin (incl. ggf. Differenzierung von HDL- und LDL-Cholesterin) anzuraten. Eine adäquate Verbesserung liegt vor, wenn eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:
- DAS 28-Abfall um mindestens 1,2
- DAS 28 unter 2,6.
Nach 3 Monaten kontinuierlicher Therapie und partiellem Ansprechen kann bei vielen Patienten durch Fortführung der TCZ Infusionen noch eine signifikante klinische Besserung erreicht werden21. Falls es nach 6 Monaten zu keinem signifikantem klinischen Ansprechen gekommen ist, sollte in der Regel die TCZ-Therapie beendet werden.
Kontrolluntersuchungen
Wegen möglicher Veränderungen des Blutbilds, der Leberwerte und des Cholesterins werden Kontrollen dieser Werte vor jeder Infusion zumindest im ersten Vierteljahr der Behandlung empfohlen, danach in der Regel vierteljährlich. Die ggf. erforderlichen Kontrolluntersuchungen für Begleittherapien wie MTX sind separat zu beachten.
Eine gesicherte Unverträglichkeit von TCZ und eine aktive Infektion stellen absolute Kontraindikationen gegen TCZ dar. Vom Einsatz bei schwerer Nieren- oder Leberinsuffizienz ist abzuraten.
Da keine Daten zur Anwendung von TCZ bei schwangeren Patientinnen vorliegen, ist eine Anwendung in der Schwangerschaft kontraindiziert. Frauen sollten während der Therapie mit TCZ und 6 Monate nach Beendigung der Therapie sichere kontrazeptive Maßnahmen anwenden.Im Fall einer Infektion (z.B. Pneumonie, septische Arthritis, Abszess, opportunistische Infektion) muss eine geplante Infusion ausgesetzt werden.
Vor geplanten großen (wie z.B. abdominellen) Operationen wird von der holländischen Rheumatologen Gesellschaft eine Therapiepause von 4 Halbwertszeiten (4 x 240 Stunden bzw. 40 Tage) empfohlen22, in den Empfehlungen aus Japan wird ein Mindestabstand von 2 Wochen nach der letzten Infusion gefordert23.
Die Infusion erfolgt ohne Prämedikation über 1 Stunde. Vor, während und nach der Infusion sind Puls-und Blutdruckkontrollen erforderlich. Im Fall einer leichten Unverträglichkeitsreaktion muss die Infusion gestoppt werden und kann nach dem Abklingen im Ermessen des behandelnden Arztes fortgeführt werden.
Für schwere allergische Reaktionen ist eine Notfallausstattung bereitzuhalten, das Praxispersonal muss mit der Notfallbehandlung vertraut sein.
Die häufigsten Nebenwirkungen der Therapie mit TCZ sind Infektionen, gastrointestinale Beschwerden, Hypertonus, Kopfschmerzen, Leberwerterhöhungen, Veränderungen des Lipidstoffwechsels und Leukopenien.
In den publizierten Studien waren Nebenwirkungen in den Verum-Gruppen häufiger als in den Placebo-Gruppen. An Infektionen kamen vor allem Atemwegsinfektionen (z.B. TOWARD 12 % versus 10%), und Weichteilinfektionen (5% versus 3%) vor. Meist konnte die Behandlung mit TCZ nach Abklingen der Infektion ohne Rezidiv fortgesetzt werden. Die Rate schwerer Infektionen, die zum Studienabbruch führten, betrug in der TOWARD Studie 5,9 pro 100 Patientenjahre in der TCZ Gruppe und 4,7 in der Kontrollgruppe. Innerhalb des Phase III Studienprogrammes und den danach anschließenden Langzeitstudien wurde von insgesamt 7 Tuberkulosefällen (meist in Ländern mit erhöhter Tuberkuloseprävalenz) berichtet, die im Mittel mehr als 18 Monate nach Therapiebeginn auftraten. Ein Tuberkulosescreening war innerhalb des Studienprogrammes obligat, im positiven Fall wurde gemäß lokalen Richtlinien verfahren. Aus der TOWARD Studie wird eine Mycobakterium avium-Infektion berichtet.
Eine Zwischenanalyse gepoolter Daten von 3857 Patienten, die im Mittel 1,48 Jahre mit TOZ behandelt worden waren ergab eine Häufigkeit von 15,1 schweren unerwünschten Ereignis-sen pro 100 Patientenjahre17. Die Abbruchrate als Folge dieser Ereignisse betrug 6,5 pro100 Patientenjahre. Für die übrigen unerwünschten Ereignisse ergaben sich folgende Häufigkeiten: 4% Neutropenien Grad 3-4; 4,4 schwere Infektionen pro 100 Patientenjahre, 10 Todesfälle an schweren Infektionen, am häufigsten Pneumonien und Zellulitis (bakterielle Weichteilinfektionen). 9 opportunistische Infektionen wurden berichtet (0,2 pro100 Patientenjahre): 1 Mykobakterium avium-Infektion, 1 mykobakterielle Harnwegsinfektion, 1 Pneumocystis jirovecii-Pneumonie, 1 Candida-Osteomyelitis, 1 gastrointestinale Candidiasis, 1 Pilzösophagitis und 1 Pilzsinusitis. Bösartige Erkrankungen wurden mit einer Rate von 1,67/100 Patientenjahre beobachtet.
In der Literatur wird in einem Fall von einer Leukenzephalopathie berichtet, die zunächst verdächtig auf eine PML (progressive multifokale Leukenzephalopathie) war, JC Virus wurde jedoch nicht nachgewiesen, so dass eine mögliche Assoziation zur TCZ Therapie diskutiert wurde24.
Auch gastrointestinale Beschwerden kamen insgesamt in der TCZ-Gruppe häufiger vor als in der Kontrollgruppe. Es handelte sich um Übelkeit, Bauchschmerzen und Mucositis. Einige Fälle von Darmperforationen mit nachfolgender Peritonitis sind beschrieben. Nach den Daten einer Gesamtauswertung mit Stand 2/2009 bei insgesamt 6492 Patientenjahren ergab sich für Darmperforationen eine Rate von 2,8 pro 1000 Patientenjahre25. Die Perforationen waren überwiegend im Kolon lokalisiert und waren assoziiert mit vorangegangenen Endoskopien, der Einnahme von Glukokortikoiden und/oder NSAR und einer anamnestischen Ulkuskrankheit.
Als relevante laborchemische Nebenwirkungen können Neutropenien, Leberwerterhöhungen und Erhöhungen des Serum-Cholesterins auftreten, in den Studien wurde kein Zusammenhang von Infektionen mit den Neutropenien beobachtet. Bei den wenigen beobachteten Neutropenien Grad 3 (Neutrophile zwischen 500 und 1000/µl) normalisierten sich die Werte nach Unterbrechung der Therapie bzw. Dosisreduktion (detaillierte Empfehlungen zur Dosis-anpassung finden sich in der Fachinformation).
Erhöhungen der Leber-Transaminasen lagen meist innerhalb des 3-fachen oberen Normbereichs und traten in der Regel 2 Wochen nach der Infusion auf. Selten kam es zu erhöhten indirekten Bilirubin-Spiegeln. Eine klinisch relevante Hepatitis oder Leberversagen wurde in keinem Fall beobachtet.
Anstiege des Nüchtern-Cholesterins traten bei TCZ-behandelten Patienten auf, der Anstieg ist besonders in den ersten 6 Wochen der Therapie festzustellen, danach ist meist keine weitere Steigerung zu beobachten. Die LDL/HDL-Relation bleibt meist konstant, eine Normalisierung der Werte wird in der Regel durch eine Statin-Therapie erreicht. Bisher ist nicht bekannt, ob die Dyslipidämie klinische Konsequenzen besitzt.
Infusionsreaktionen traten in den mit TCZ behandelten Gruppen häufiger auf als in denen mit Placebo (6,9 % versus 5,1 %). Es handelte sich um Hypertonus, Kopfschmerzen und Urtikaria. Gelegentlich (in 0,3 %) musste die Therapie wegen einer Überempfindlichkeit beendet werden.
Aus der TOWARD Studie ist eine schwere anaphylaktische Reaktion berichtet, die zum Studienabbruch führte. Weitere leichte Infusionsreaktionen wurden beobachtet, die bei den folgenden Infusionen nicht mehr auftraten.
11. KOMBINATIONS- UND MONOTHERAPIE
Kombinationstherapie
Bei MTX-Unverträglichkeit oder -kontraindikation ist eine Kombination mit anderen konventionellen DMARDs nach den Daten der TOWARD Studie möglich, die Kombination mit anderen Biologika kann derzeit nicht empfohlen werden.
Monotherapie
TCZ kann gemäß Zulassungstext bei Patienten eingesetzt werden, bei denen eine Fortführung der MTX Therapie nicht möglich oder sinnvoll erscheint. In der Ambition Studie zeigte sich TCZ in der Monotherapie einer Monotherapie mit MTX überlegen, wobei in dieser Studie RA Patienten verglichen wurde, die zuvor kein MTX gehabt hatten oder zumindest auf eine frühere MTX Therapie nicht versagt hatten. Ob eine Umstellung auf TCZ in der Monotherapie auch bei Patienten angezeigt ist, die auf eine frühere MTX Therapie versagt haben, ist formal nicht untersucht und Gegenstand derzeit laufender Studien.
Mit TCZ steht ein neues effektives Therapieprinzip für die Anwendung bei Patienten mit aktiver rheumatoider Arthritis zur Verfügung. Eine engmaschige Überwachung und Kontrolle vor allem wegen möglicher Infektkomplikationen ist wie bei den anderen Biologika erforderlich.
Tocilizumab bei juveniler idiopathischer Arthritis (JIA)
Bei systemischer JIA (SJIA) korrelieren die Serum-IL-6-Konzentrationen mit dem Ausmaß und der Schwere der Gelenkbeteiligung, mit den Fieberschüben, der Thrombozytose, der Wachstumsverzögerung und der Osteoporose26,27.
In Phase-II-Studien konnten bei mit TCZ behandelten SJIA-Patienten nachhaltige Besserungen der Gelenkmanifestationen und der systemischen Aktivität nachgewiesen werden3, 28. Eine Placebo-kontrollierte Doppelblindstudie bestätigte diese Effekte und führte zur Zulassung von TCZ zur Behandlung der SJIA in Japan29: 56 Patienten mit SJIA (Alter 2-19 Jahre, Krankheitsdauer 4,5 +/- 3,6 Jahre) erhielten in einer sechswöchigen „Open-label lead-in“-Phase alle 2 Wochen 8 mg TCZ/kg KG; 13 der 56 Patienten sprachen nicht an. Patienten, die einen ACR-Ped 30-Score sowie eine CRP-Serumkonzentration von </=5 mg/l erreicht hatten, wurden doppelblind randomisiert einer Verumgruppe (20 Patienten) oder einer Plazebogruppe (23 Patienten) zugeordnet und für weitere 12 Wochen behandelt. Zu beachten ist, dass entsprechend dem Studiendesign („Withdrawal“-Studie, wie bei allen anderen bisher im Kindesalter durchgeführten Biologika-Studien) nur solche Patienten in die Auswertung der Placebo-kontrollierten Studienphase eingingen, die initial auf TCZ angesprochen hatten.
Primäre Endpunkte waren die Aufrechterhaltung des ACR-Ped 30-Score und der CRP-Serumkonzentration </=5 mg/l, was von 4 der 23 (17%) mit Placebo behandelten Patienten und von 16 der 20 (80%) der mit TCZ behandelten Patienten erreicht wurde (p <0,0001). An der anschließenden 48-wöchigen „Open-Label Extension“-Phase nahmen 48 Patienten teil, von denen im Verlauf der Extensionsphase 47 (98%) einen ACR Ped 30, 45 (94%) einen ACR Ped 50 und 43 (90%) einen ACR Ped 70 erreichten.
Häufige unerwünschte Wirkungen waren Infektionen der oberen Atemwege und Gastroenteritiden. Zu den 16 schweren unerwünschten Wirkungen („severe adverse events“, 2x in der „Open-label lead-in“-Phase, 1x in der Doppelblindphase, 13x in der „Open-label Extension“-Phase) gehörten Bronchitiden, Gastroenteritiden, anaphylaktische Reaktionen, gastrointestinale Blutung (1x) sowie eine EBV-Infektion plus Leberwerterhöhung (1x). Darüber hinaus wurden Serum-Cholesterin-Erhöhungen (4x) und in einer anderen Studie Glukosurien beo-bachtet (2 von 11 Patienten)3.
Die SJIA ist eine schwierig behandelbare Erkrankung mit potentiell ernster Prognose und gelegentlich lebensbedrohendem Verlauf. Bei Patienten, die nicht ausreichend auf Methotrexat und Glukokortikoide ansprechen bzw. bei inadäquatem Glukokortikoid-Dauerbedarf sowie unzureichender Wirkung einer TNFα-Blockade, erscheint ein individueller Heilversuch mit Anakinra (30) oder mit TCZ gerechtfertigt. Eine Empfehlung zur Reihenfolge (zunächst Anakinra oder TCZ) kann aufgrund bisher fehlender vergleichender Untersuchungen nicht gegeben werden und bleibt damit in der Entscheidung des behandelnden Kinderrheumatologen. Als Therapieerfolgsparameter sind neben den klinischen Besserungen am Bewegungsapparat auch die Normalisierung der Wachstumsgeschwindigkeit und der Entzündungswerte (BSG,CRP) geeignet3.
Angela Gause
Andrea Rubbert-Roth
Hartmut Michels
Markus Gaubitz
Werner- J. Mayet
und die Kommission Pharmakotherapie der DGRh
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