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Behandlung rheumatischer Erkrankungen mit Phytodolor®

1. Mögliche Wirkungen, wirksame Substanzen, vorhandene Präparate

Anwendung von Phytodolor®

Phytodolor® (interne Abkürzung der Herstellerfirma: STW1) ist eine Tinktur aus 3 Inhaltsstoffen: Eschenrinde (Fraxinus excelsior), Zitterpappelrinde und -blättern (Populus tremula) und echtes Goldrutenkraut (Solidago virgaurea) in einem festgesetzten Mischungsverhältnis von 1:3:1 (1).

Solidago virgaurea wird traditionell zur Steigerung der Urinausscheidung verwendet (9, 12), Fraxinus excelsior und Populus tremula für die Linderung leichter Gelenkbeschwerden und zur Erhöhung der Urinauscheidung (9, 13).

Phytodolor® ist als pflanzliches Arzneimittel für die Anwendung bei Erwachsenen bei Muskel- und Gelenkschmerzen bestimmt, mit den Anwendungsgebieten „schmerzhafte Beschwerden bei degenerativen und entzündlichen rheumatischen Erkrankungen“ (10, 11). Die Dosierung zur inneren Anwendung wird mit 3x30-40 Tropfen angegeben (10, 11). Die empfohlene Anwendungsdauer für Solidago virgaurea beträgt 2-4 Wochen (12). Der längerfristige Einsatz von Phytodolor® (>4 Wochen) wird nicht empfohlen (10). Phytodolor® wird rezeptfrei über die Apotheke vertrieben.

Chemische und pharmakologische Zusammensetzung:

Phytodolor® ist eine Tinktur. Diese ist definiert als dünnflüssiger, meist alkoholischer Auszug von Ausgangsstoffen, welche pflanzlichen oder tierischen Ursprungs sein können.

Als Hauptbestandteile der Eschenrinde sind Cumarin und Iridoid-Bitterstoffe angegeben (9), für die Zitterpappel Salicin/Salicortin und für die Goldrute Flavonoide, Triterpensaponine (Virgaurea-Saponine) und Phenolglykoside (9).

Effekte in vitro und in vivo/ in Tiermodellen

Für STW1 konnte in humanen Zellkulturen nach Lipopolysaccharidstimulation eine reduzierte TNF alpha-Genexpression und Inhibierung der Synthese von COX-2 in aktivierten humanen Monozyten nachgewiesen werden (2). Ebenso wurde eine Reduktion der inflammationsbedingten Apoptose beschrieben sowie eine Inhibition der Prostaglandinsynthese (mit ähnlichem Wirkeffekt wie Indomethacin) und der inflammatorischen Mediatoren Histamin und Leukotrien (3). In tierexperimentellen Modellen konnten für Phytodolor® antiphlogistische, analgetische, antiexsudative, antioxidative, antipyretische und antiproliferative Effekte beschrieben werden (2, 6, 14). Merzenich et al. berichten bei in vitro Modellen mit Fibroblastenkulturen über Veränderungen des Zytokinprofils für IL-1α, IL-8, IL-10, IL-15 unter Phytodolor® ab einer Konzentration des STW1 von 0,1% (2). In Untersuchungen von LPS-aktivierten Monozyten und differenzierten Makrophagen konnten Bonaterra et al. Hinweise für antiinflammatorische und pro-apoptotische Effekte unter Phytodolor in vitro liefern (1). Die Inhibition von Prostaglandinendoperoxidase-synthase 2 dürfte durch den Anteil von Salicin/ Salicyl-Alkohol in der Zitterpappel begründet sein (1).

2. Überblick über die Evidenz zur klinischen Wirksamkeit bei rheumatischen Erkrankungen in der Literatur

Es erfolgte eine pubmed-Recherche mit den Begriffen: „Phytodolor“ oder „STW1“ und „rheuma“ oder „pain“ oder “arthritis“ sowie den Sprachen Englisch und Deutsch mit Abruf am 29.04.2024. Es wurden 9 verwendbare Artikel angezeigt. Von diesen Artikeln waren 4 Review-Artikel und einer als Metaanalyse angegeben.

Anwendung von Phytodolor bei Rheumatoider Arthritis

Cameron et al. untersuchten 2009 und 2011 in Cochrane Analysen die vom Hersteller zur Verfügung gestellten unpublizierten Studienergebnisse randomisierter Studien von Meier, 1987 über 2 Wochen und Eberl et al., 1988 über 12 Monate (4, 8). Diese zeigten initial einen höheren Diclofenac-Gebrauch unter Verum als unter Placebo. In den Monaten 2-11 lag der NSAR-Gebrauch unter Therapie mit Phytodolor® unter der des Placeboarmes. Beide Studien erfolgten mit Unterstützung der herstellenden Firma (4).

Anwendung von Phytodolor® bei Arthrose

Cameron et al. untersuchten 2009 in einer Cochrane Analyse (7) drei vergleichende, vom Hersteller (Steigerwald Pharmaceuticals) durchgeführte Studien. In diesen wurde Phytodolor® im Vergleich zu Placebo oder Piroxicam angewendet. Die Studien mit insgesamt 176 Probanden zeigten einen Rückgang des NSAR-Verbrauchs (Diclofenac) und als einzigen Outcomeparameter eine Besserung des Finger-Boden-Abstandes (Schadler 1988; Bernhardt et al. 1991; Huber 1991) (7). Die Wahl des Outcome „Finger-Boden-Abstand“ für eine Patientenkohorte mit Arthrose wurde auch von den Autoren des Cochrane Reports kritisch gesehen. Schadler nutzte ein Crossover-Design mit Interventionszeiträumen von sieben Tagen und verwendete eine um 33 % höhere Dosis Phytodolor als in den beiden anderen Studien. Die anderen beiden Studien hatten ein paralleles Design sowie eine drei- bzw. vierwöchige Dauer. Die Daten konnten nicht für Metaanalysen zusammengefasst werden.

Anwendung von Phytodolor® bei verschiedenen muskuloskelettalen Erkrankungen

Uehleke et al. führten eine Metaanalyse von 11 randomisierten Studien durch, die größtenteils nicht publiziert worden waren und vom Hersteller zur Verfügung gestellt wurden. Ausgewertet wurden globale Patientenbewertung zur Wirksamkeit und als sekundäres Zielkriterium die Schmerzbeurteilung in Ruhe und Bewegung bei Patienten mit muskuloskelettalen Symptomen und Krankheitsbildern (Rückenschmerzen, Epikondylitis, rheumatoide Arthritis, Spondylitis und Gonarthrose). Die oben genannten Studien zur Arthrose wurden mit in die Analyse eingeschlossen, die Zeitdauer der Studien lag bei 7 Tagen bis 12 Monaten. Die Subgruppe der Patienten mit Gonarthrose zeigte eine tendenzielle Unterlegenheit gegenüber NSAR, die Gruppe aller anderen Patienten (zusammengefasst) eine Tendenz zur Überlegenheit (ohne Signifikanz) (5). Über leichte unerwünschte Ereignisse wurde berichtet (8,1% in der Placebogruppe, 14,2% unter STW1 und 18,9% bei NSAR-Einnahme) (5).

Gundermann berichtete gemeinsam mit einem Koautor des Herstellers 2020 nochmals über die gleichen (vielfach nicht publizierten) klinischen Studien und die in vitro Ergebnisse und schloss auf von ihm so bezeichnete „vielschichtige“ Effekte von Phytodolor® bei verschiedenen rheumatischen und degenerativen Erkrankungen ohne dieses durch eigene Daten zu erhärten (6).

3. Mögliche Anwendungen in der Rheumatologie inclusive zu erwartender positiver Effekte

Auch wenn der Einsatz von Phytodolor® zur Therapie von Gelenkschmerzen in Einzelfällen als hilfreich empfunden werden kann, ist eine Anwendung zur „Behandlung schmerzhafter Beschwerden bei degenerativen und entzündlichen rheumatischen Erkrankungen“ (Label des Herstellers) aufgrund der dürftigen Datenlage für rheumatologische Erkrankungen nicht als gesichert wirksam anzusehen. Eine Langzeitwirkung ist nicht untersucht und die Anwendung wird vom Hersteller für maximal 4 Wochen empfohlen.

Mögliche Nebenwirkungen und Limitationen

Phytodolor® sollte nicht angewendet werden bei Vorliegen einer Allergie gegenüber einem der Inhaltstoffe sowie bei akuten Magen-Darmgeschwüren. Der Einsatz in der Schwangerschaft und Stillzeit wird nicht empfohlen (11,12,13). „Ein gesundheitliches Risiko besteht u. a. bei Leberkranken, Alkoholkranken, Epileptikern, Patienten mit organischen Erkrankungen des Gehirns, Schwangeren, Stillenden und Kindern. Die Wirkung anderer Arzneimittel kann beeinträchtigt oder verstärkt werden“ (10).

Der hohe Alkoholgehalt 46,5% (0,7 g bei 40 Tropfen) stellt ein Gesundheitsrisiko für Kinder und Patienten mit Lebererkrankungen, Epilepsie und zerebralen Schädigungen dar (4, 7). Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren sollen das Präparat nicht einnehmen (laut Referenz 11).

Angaben des Herstellers enthalten folgende Hinweise:

„Häufige Nebenwirkungen von Phytodolor ® sind Magen-Darm-Beschwerden wie Magenschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Gelegentlich treten Kopfschmerzen auf. Es kann zu einem Anstieg des Blutzuckers, zu Überempfindlichkeitsreaktionen (Hautreaktionen), zu Wassereinlagerung (Ödem) und häufigem Wasserlassen kommen“ (10).

Für Solidago virgaurea sind Hypersensitivitätsreaktionen und gastrointestinale Beschwerden beschrieben, der gleichzeitige Einsatz von Diuretika sollte nicht erfolgen (12). Der Einsatz in der Schwangerschaft und Stillzeit wird nicht empfohlen (12). Eine Kontraindikation besteht für Erkrankungen mit eingeschränkter Trinkmenge wie schwere kardiale und nephrologische Erkrankungen, des Weiteren bei Vorliegen einer Hypersensitivität für Phytotherapeutika der Gruppe Asteraceae (Bsp. Arnika).

Für Fraxinus excelsior besteht ebenfalls eine Kontraindikation bei Erkrankungen mit eingeschränkter Trinkmenge wie schweren kardialen und nephrologischen Erkrankungen (13). Der Einsatz in der Schwangerschaft und Stillzeit wird nicht empfohlen (13).

Berichte über schwerwiegende Nebenwirkungen liegen bisher nicht vor (6).

4. Abschließende Empfehlung der Kommission

Es besteht keine ausreichende klinisch wissenschaftliche Evidenz zur Verordnung der Phytodolor®-Tinktur im Rahmen definierter entzündlich- rheumatischer Erkrankungen. Die Studiendaten stammen aus den 80er und 90er Jahren mit variablen Studiendesigns und sind überwiegend nicht bzw. nur in Zusammenfassungen publiziert. Des Weiteren liegen keine Daten zur längerfristigen Einnahme und zum Einfluss auf den Langzeitverlauf rheumatischer Erkrankungen vor. Limitierend ist daher der nur über maximal 4 Wochen empfohlene Einsatz im Kontext chronischer Erkrankungen.

Bei Vorliegen leichter bis moderater Schmerzen bei degenerativen Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen muss ein kurzfristiger Einsatz nicht zwingend ausgeschlossen werden, insbesondere dann, wenn NSAR oder andere pharmakologische Interventionen kontraindiziert oder aus anderen Gründen nicht angezeigt sind, und wenn von Seiten der Patienten der Wunsch nach einer phytotherapeutischen Behandlung geäußert wird.


Literatur- und Quellenverzeichnis

1 Bonaterra GA, Schwarzbach H, Kelber O, Weiser D, Kinscherf R Anti-inflammatory effects of Phytodolor® (STW 1) and components (poplar,ash and goldenrod) on human monocytes/macrophages. Phytomedicine 2019; 58 (2019) 152868

2 Ulrich-Merzenich G, Hartbrod F, Kelber O, Müller J, Koptina A, Zeitler H. Salicylate-based phytopharmaceuticals induce adaptive cytokine and chemokine network responses in human fibroblast cultures. Phytomedicine. 2017 Oct 15;34:202-211. doi: 10.1016/j.phymed.2017.08.002. Epub 2017 Aug 9. PMID: 28899503.

3 Gundermann KJ, Müller J. Phytodolor--effects and efficacy of a herbal medicine. Wien Med Wochenschr. 2007;157(13-14):343-7. doi: 10.1007/s10354-007-0436-4. PMID: 17704984.

4 Cameron M, Gagnier JJ, Chrubasik S. Herbal therapy for treating rheumatoid arthritis. Cochrane Database Syst Rev. 2011 Feb 16;(2):CD002948. doi: 10.1002/14651858.CD002948.pub2. PMID: 21328257.

5 Uehleke B, Brignoli R, Rostock M, Saller R, Melzer J Phytodolor® in musculoskeletal disorders: re-analysis and meta-analysis. Forschende Komplementärmedizin, 2011; 18(5):249-256.

6 Gundermann KJ, Müller J, Kraft K. STW1 and Its Versatile Pharmacological and Clinical Effects in Rheumatic Disorders: A Comprehensive Report. Evid Based Complement Alternat Med. 2020 Jul 14;2020:7841748. doi: 10.1155/2020/7841748. PMID: 32733586; PMCID: PMC7376409.

7 Cameron M, Gagnier JJ, Little CV, Parsons TJ, Blümle A, Chrubasik S. Evidence of effectiveness of herbal medicinal products in the treatment of arthritis. Part I: Osteoarthritis. Phytother Res. 2009 Nov;23(11):1497-515. doi: 10.1002/ptr.3007. PMID: 19856319.

8 Cameron M, Gagnier JJ, Little CV, Parsons TJ, Blümle A, Chrubasik S. Evidence of effectiveness of herbal medicinal products in the treatment of arthritis. Part 2: Rheumatoid arthritis. Phytother Res. 2009 Dec;23(12):1647-62. doi: 10.1002/ptr.3006. PMID: 19941324.

9 https://arzneipflanzenlexikon.info

10 https://phytodolor.de

11 https://www.apotheken-umschau.de/medikamente/beipackzettel/phytodolor-tinktur-7153853.html ABDATA Pharma-Daten-Service 04/19

12 https://www.ema.europa.eu/en/medicines/herbal/solidaginis-virgaureae-herba

13 https://www.ema.europa.eu/en/medicines/herbal/fraxini-folium#documents-section

14 el-Ghazaly, M T Khayyal, S N Okpanyi, M Arens-Corell Study of the anti-inflammatory activity of Populus tremula, Solidago virgaurea and Fraxinus excelsior Arzneimittelforschung 1992 Mar;42(3):333-6.
 

Stand: 01.10.2024