Prof. Dr. med. Fritz Hartmann
(17.11.1920-10.2.2007)
Fritz Hartmann starb im 87. Lebensjahr am 10. Februar 2007 in seinem Haus am Birkenweg in Hannover, in der Fürsorge seiner zuletzt klein gewordenen Familie. Er folgte seiner Frau (verstorben 2000) und seiner Tochter (verstorben 2005). Seine schließlich tödliche Krankheit ließ ihm seit ihrer Manifestation kaum mehr als sechs Monate. Seine Familie verlor ihr Zentrum, seine Schüler und Mitarbeiter einen wesentlichen Orientierungspunkt. Wir verloren einen väterlichen Mentor, vertrauten Ratgeber und spiritus rector.
Fritz Hartmann war der erste Inhaber eines rheumatologischen Lehrstuhls an einem Hochschulklinikum. Nach seiner Berufung 1965 an die Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) entstand unter seiner Leitung nach US-amerikanischem Vorbild die „Abteilung für Krankheiten der Bewegungsorgane und des Stoffwechsels“ innerhalb des Departments Innere Medizin. Dadurch wurden der Rheumatologie entscheidende neue Wege eröffnet. Zusammen mit seinen Schülern und Kollegen aus der Tierärztlichen Hochschule Hannover gestaltete und unterstützte er den ersten rheumatologischen Sonderforschungsbereich „Pathomechanismen der rheumatoiden Entzündung bei Mensch und Tier“.
Schon 1962 richtete Fritz Hartmann entsprechend seiner stets grenzüberwindenden Persönlichkeit erstmals in der Geschichte der deutschsprachigen Gesellschaft für Rheumatologie als ihr damaliger Präsident deren 10. Jahrestagung gemeinsam mit der Schweizerischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rheumatologie sowie der Österreichischen Liga zur Bekämpfung des Rheumatismus in Bad Ragaz aus. Hauptthemen des Kongresses waren „Die Arthrose als Krankheit“, „Der Einfluss der genetischen Faktoren auf den chronisch-entzündlichen Rheumatismus“ und „Die Anämie bei der chronischen Polyarthritis“.
Im Geiste der Interdisziplinarität pflegte Fritz Hartmann an der MHH eine enge Verbindung zu der Abteilung Klinische Immunologie unter Leitung von Prof. Dr. Helmuth Deicher. So entstand eine außergewöhnlich intensive und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen klinischer Rheumatologie und Immunologie. Sie war nicht zuletzt wesentliche Voraussetzung dafür, dass von den wenigen Abteilungen und Lehrstühlen unseres Fachgebietes mehrere mit Mitgliedern der „Hannoverschen Schule“ besetzt wurden (Erlangen, Freiburg, Berlin, Nachfolge in Hannover). Auch die Initiierung und Etablierung der Regionalen Kooperativen Rheumazentren nahm von Hannover ihren Ausgang. So verdankt die deutsche Rheumatologie Fritz Hartmann, den von ihm gestalteten Aufbau und die von ihm geförderte Entfaltung einer vielgestaltigen klinischen und wissenschaftlichen Rheumatologie in Hannover mit nationalem und internationalem Ansehen. Dass der Zeitpunkt seines Todes zusammenfällt mit den Ende der Abteilung Rheumatologie an der Medizinischen Hochschule stimmt uns traurig. Aus Gründen der Kostenersparnis wird sie in die Abteilung Klinische Immunologie überführt.
Fritz Hartmann war Schüler des Göttinger Internisten Rudolf Schoen und wurde Lehrer nicht nur vieler deutscher Internisten, Rheumatologen und Immunologen, sondern auch Lehrer von Medizinhistorikern und Medizinethikern. Er stand jahrelang dem von ihm gegründeten Seminar, später Institut für Geschichte, Theorie und Wertlehre der Medizin der MHH vor. Unzählige Medizinstudenten haben ihn in den mehr als 40 Semestern seiner Lehrtätigkeit (zuerst in Marburg, dann in Hannover) gehört; viele wurden von ihm geprägt. Als eines seiner Lehrprojekte geht auch der „Untersuchungskurs des Bewegungsapparates“ für Studenten im 1. klinischen Studienjahr auf ihn zurück. Nur ausnahmsweise ließ er sich in der studentischen Lehre von anderen vertreten; nie übertrug er seine Lehrverpflichtungen auf die jüngsten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Damit ist schon der weite Horizont der Interessen Fritz Hartmanns angedeutet worden. Noch im Dezember 2005 berichtete er von „Schaffensfreude und -kraft“, im Juni 2006 noch einmal von „schöpferischer Unruhe“. Seine Briefe waren bis zuletzt begleitet von Vortragsmanuskripten und Sonderdrucken. Einige späte Titel verdeutlichen Grundthemen seines Denkens und Forschens, das immer auch ein rückblickend-historisches, gleichzeitig ein die Fachgrenzen übersteigendes und vorausschauendes Erkunden war:
- Gelingendes bedingtes Gesundsein im Alter (2000);
- Ärztliche Praxis und klinische Medizin in der Leopoldina. In: B. Parthier und D.v. Engelhardt (Hrsg.): 350 Jahre Leopoldina – Anspruch und Wirklichkeit. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Halle 2002, 381-418;
- Rudolf Schoen (1892-1979) – der Wegbereiter. Zeitschrift für Rheumatologie 2003; 62:193-201;
- Sterbens-Kunde als ärztliche Menschen-Kunde; was heißt: In Würde sterben und sterben lassen (2004)
- Erinnerungen an die Gründerzeit der Medizinischen Hochschule Hannover 1960-1964 und Entwurf und Wirklichkeit der MHH 1960 – 2005 (beides 2005);
- Verstehen als Voraussetzung für Verständigung von Kranken und ihren Ärzten (2006).
Die allererste im Schriftenverzeichnis von Fritz Hartmann aufgeführte Veröffentlichung widmete sich 1948 der Biochemie von Eiweißmangelschäden unter Kriegsheimkehrern im Auffanglager Friedland bei Göttingen. Der erste rheumatologische Vortrag taucht 1950 auf („Serumeiweißveränderungen im Verlauf des chronischen Gelenkrheumatismus“); die ersten Beiträge in einer rheumatologischen Zeitschrift 1951. In dieser Zeit und viele Jahre weiter geht es um den Eiweiß- und Aminosäurenstoffwechsel, dann allgemeiner auch um die Physiologie und Pathologie des Bindegewebes.
1956 erscheint Fritz Hartmanns medizinhistorisch ausgerichtete Schrift „Der ärztliche Auftrag“, eine Frucht seiner bisherigen ärztlichen Erfahrungen ebenso wie seines weit gefächerten Studiums (1940 – 1945) auch von Philosophie, Psychologie und Geschichte. Gemeinhin den „Grenzgebieten der Medizin“ zugerechnet, werden Fragen der ärztlichen Anthropologie für Fritz Hartmann zunehmend forschungs-, lehr- und lebensbestimmend. 1968 ist das erste Jahr, in dem Zahl und Gewicht solcher Beiträge überwiegen. Später erwuchs daraus eine umfassende Theorie der klinischen Medizin speziell im Umgang mit chronisch Kranken. Die ärztliche Alltagserfahrung war Ausgangspunkt und Endpunkt seiner klinischen Aufmerksamkeit, seines auch empirischen Forschens (z.B. über „Der erste Satz des Kranken im Gespräch mit dem Arzt“, 1978), seines Nachdenkens. Versteht man klinische Medizin (mit Fritz Hartmann) als eine Handlungswissenschaft, dann bedarf sie ebenso einer Grundlagenforschung - wenn auch einer gänzlich anderen als eine sich eng als angewandte Naturwissenschaft (miss)deutende Medizin.
Mit Fritz Hartmann hat die klinische Medizin jetzt ihren bedeutendsten und originellsten Grundlagenforscher verloren. Nachfolger, die gleichzeitig klinisch tätig und auf höchstem Niveau theoretisch arbeiten, sind nicht in Sicht. Auch in diesem Feld ist es durch disziplinäre Spezialisierung zu einer Trennung von klinischer Praxis und ihrer Geschichte, Theorie und Ethik gekommen.
Wenn auch Fritz Hartmanns Beiträge zu einer eng verstandenen klinischen Rheumatologie mit der Zeit abnahmen, so waren seine oft als zu „philosophisch“ abgewehrten Gespräche, Vorträge und Veröffentlichungen doch für deren Weiterentwicklung prägend. Ohne seine gedankliche Vorarbeit und Begleitung, ohne seine Förderung, ohne sein aktiv teilnehmendes Interesse wären uns Projekte einer patientenorientierten klinischen und epidemiologischen Forschung und einer wohnortnahen rheumatologischen Versorgung nicht möglich geworden. Auch wenn er selbst in seinen späteren Jahren eher „qualitativ“ forschte, so nutzte er doch Ergebnisse verhaltenswissenschaftlich fundierter quantitativer Forschung. So wurde Hannover in den 1980er Jahren zu einem frühen Zentrum dessen, was heute Versorgungsforschung heißt.
Fritz Hartmann hat auf der Basis seines jahrzehntelangen Umgangs mit chronisch Rheumakranken allem ärztlichen Handeln ein Ziel gegeben; er nannte es „gelingendes bedingtes Gesundsein“. Prävention, Diagnostik, Prognostik, Therapie, Rehabilitation und Palliation sollten zum Erreichen dieses Zieles beitragen: „Gesund ist ein Mensch, der mit oder ohne nachweisbare oder für ihn wahrnehmbare Mängel seiner Leiblichkeit allein oder mit Hilfe anderer Gleichgewichte findet, entwickelt und aufrecht erhält, die ihm ein sinnvolles, auf die Entfaltung seiner persönlichen Anlagen und Lebensentwürfe eingerichtetes Dasein und die Erreichung von Lebenszielen in Grenzen ermöglichen, so dass er sagen kann: mein Leben, meine Krankheit, mein Sterben.“ Uns erscheint dies als ein anspruchsvolles, heroisches und auch einsames Ziel.
Alle, die Fritz Hartmann begleitet haben und ihm in den letzten Wochen und Monaten nahe sein durften, werden nicht daran zweifeln, dass er seine Krankheit und sein Sterben gelebt hat. Auch darin kann er uns Vorbild sein.
Prof. Dr. Dr. Heiner Raspe
Prof. Dr. med. Henning Zeidler